Zivilbevölkerung in Syrien schützen – deutscher Verantwortung gerecht werden!

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen am 10./11. März 2018 in Oldenburg

Obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien nunmehr über sieben Jahre dauern, ist ein Ende der Konflikte nicht in Sicht. Die Syrien-Strategie der Europäischen Union sowie der Bundesregierung basiert dabei vor allem auf Abwehr Geflüchteter und der militärischen Beteiligung an einem Luftkrieg über Syrien, dem weder ein Mandat der Vereinten Nationen zugrunde liegt, noch irgendeine abgestimmte Strategie der internationalen Gemeinschaft.. Friedensfördernd wirken diese Aktionen nicht. Im Gegenteil: die Eskalation nimmt kein Ende!

Hunderttausende sind in Syrien erneut auf der Flucht, der Krieg dehnt sich derzeit wieder aus. Die Vereinten Nationen beschrieben die Lage als so schlimm wie nie zuvor und fordern eine sofortige Waffenruhe, um wenigstens der Zivilbevölkerung humanitäre Hilfe zukommen lassen zu können.

Bestehende Konflikte werden noch brutaler – neue Konflikte entstehen

Aktuell zwingen die Kämpfe in der nordsyrischen Provinz Idlib derart viele Menschen zur Flucht, wie es selbst für den Syrien-Krieg neu ist: so mussten in den vergangenen Wochen mehr als 270.000 Menschen vor den Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad fliehen. Im Dezember hat Assad mit seinen russischen Verbündeten eine Offensive auf Idlib gestartet. Rund 2,5 Millionen Menschen leben in der Provinz, fast jeder zweite ist ein Binnenflüchtling. Idlib hat knapp eine Million Menschen aufgenommen, die aus Aleppo und anderen Kriegsgebieten geflohen waren. Sie sind nun erneut auf der Flucht.

In der Provinz Ost-Ghuta, östlich der syrischen Hauptstadt Damaskus, sind seit mehreren Jahren rund 400.000 Menschen vom Regime eingeschlossen. Seit Anfang 2017 sind sie fast völlig von der Versorgung mit Nahrung und Medizin abgeschnitten. Zudem bombardieren die russische und syrische Luftwaffe täglich Schulen, Wohnhäuser und Krankenhäuser.

Ende Januar hat die türkische Armee die Grenze zu Syrien erneut überquert und bekämpft mit der “Freien Syrischen Armee” die dortigen kurdischen Einheiten der YPG. Der völkerrechtswidrige Einmarsch forderte bisher unzählige Opfer. Die türkische Regierung übt sich zudem in massiver Kriegsrethorik und kündigt eine Ausweitung der Kämpfe auf weitere Gebiete im Norden Syriens an, in denen sich amerikanische Truppen befinden. Was bislang undenkbar war: es stehen sich NATO Partner im bewaffneten Konflikt unmittelbar gegenüber.

Selbst die Atommächte geraten in Syrien miteinander in direkten Konflikt: beim letzten Luftangriff der USA gegen syrische Stellungen sind sogar zahlreiche russische Kämpfer ums Leben gekommen.

Anfang Februar wurde von syrischen Stellungen ein israelischer Kampfjet abgeschossen. Israel erklärte, dass zuvor eine iranische Drohne auf sein Territorium aus Syrien geflogen sei. Damit wird ein weiterer Konflikt auf syrischem Terrain zwischen Iran und Israel offenbar.

Opfer ist die Zivilbevölkerung

Die Leidtragenden sind zu Tausenden Menschen aus der Zivilbevölkerung.

Gerade deshalb wird auch Deutschland in diesem Konflikt seiner Verantwortung nicht gerecht. Noch immer sind Waffenlieferungen die Grundlage für militärische Angriffe. So erfolgt der Einmarsch der türkischen Armee mit Waffen aus deutscher Produktion, insbesondere mit Leopard-2-Panzern. Diese werden auch bei Rheinmetall in Unterlüß, Niedersachsen produziert.

Darüber hinaus verstärkt die Bundesregierung ihre Abschottungspolitik gegen Geflüchtete. So hat die Große Koalition in Berlin aktuell den Familiennachzug ausgesetzt und damit die Situation geflüchteter Familien extrem verschlimmert. Die sichere Einreise von Angehörigen nach Deutschland wird bewusst blockiert.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil dieser menschenrechtswidrigen Abschottungsstrategie ist zudem das von der Bundesregierung vorangetriebene “EU-Türkei-Abkommen” – ein schmutziger, menschenverachtender Deal, um Geflüchtete von Europa fern zu halten. Dieser Deal wurde geschlossen mit einer türkischen Regierung, die alle rechtsstaatslichen Prinzipien missachtet und sie durch politische WIllkür ersetzt. So wird die freie Presse drangsaliert, wie z.B. die Redakteure der Cumhuriyet oder der Journalisten Deniz Yücel, der über ein Jahr ohne Anklage in Haft saß. Trotz aller Freude über das Freikommen Deniz Yücels ist die Lage dramatisch, denn noch immer sitzen über hundert Journalist*innen in der Türkei in Haft, weil sie ihren Beruf ausgeübt haben. Zudem werden Oppositionelle und Kritiker*innen der Regierung massiv verfolgt und inhaftiert. Selbst Urteile des Verfassungsgerichts werden von der türkischen Regierung missachtet.

Doch in einem demokratischen Rechtsstaat muss gelten: Journalismus und freie Meinungsäußerung sind keine Verbrechen!

Vor diesem Hintergrund fordert Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen:

  • Sofortige Waffenruhe in Ost-Ghuta und Beendigung des völkerrechtswidrigen Angriffs auf Afrin sowie Stopp aller Kampfhandlungen in Syrien, sodass humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung möglich wird.
  • Die Beendigung des Bundeswehreinsatzes in Syrien, der außerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit stattfindet.
  • Ermittlungen nach dem Völkerstrafgesetzbuch gegen Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen in Syrien bzw. eine Unterstützung internationaler Strafverfolgung.
  • Den sofortigen Stopp von Waffenlieferungen in die Türkei und andere Konfliktregionen.
  • Die sofortige Aufkündigung des EU-Türkei-Deals und sichere Fluchtwege für syrische Geflüchtete nach Europa und Deutschland.
  • Die sofortige Freilassung aller Journalist*innen und politischer Gefangener in der Türkei wie die sofortige Wiederaufnahme des Friedensprozesses mit Kurd*innen und ein sofortiges Ende der Gewalt.
  • Die erneute Schaffung der Möglichkeit des Familiennachzugs für Geflüchtete.
  • Ein niedersächsisches, landeseigenes Aufnahmeprogramm für syrische Geflüchtete.

Bundes- und Landesregierung müssen sich für diese Ziele einsetzen!

Landesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen am 10./11. März 2018 in Oldenburg