Tierschutz in Niedersachsen konsequent umsetzen

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Niedersachsen am 7./8. November 2015 in Osnabrück

2002 wurde der Schutz der Tiere als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen. Nach jahrzehntelangen Debatten war das ein Meilenstein. Doch die Aufnahme ins Grundgesetz ist das eine, die Umsetzung in praktisches Handeln zum umfassenden Schutz der Tiere ist das andere.

Die in den letzten Jahren gerade in Niedersachsen verstärkt eingesetzte Diskussion in Bezug auf den Tierschutz, insbesondere in der Nutztierhaltung, verdeutlicht die veränderte Wertehaltung der Gesellschaft gegenüber Tieren. Aus dem von Grünen erkämpften niedersächsischen Verfassungsauftrag von 1997 (Artikel 6b: „Tiere werden als Lebewesen geachtet und geschützt“) ergibt sich die ethische und rechtliche Verantwortung für das Wohlergehen aller in unserer Obhut befindlichen Tiere übernehmen zu müssen.

Es ist wissenschaftlich unbestritten, dass Tiere Wohlbefinden, Angst und Schmerz verspüren. Dadurch ist Tierschutzpolitik ein Thema, das in der breiten Öffentlichkeit leidenschaftlich diskutiert wird. Wir GRÜNE in Niedersachsen wirken sachlich auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Tieren hin, der sich nicht auf Tiere selbst, sondern auch auf die damit verbundene Ökonomie und Ökologie positiv auswirkt. GRÜNE Tierschutzpolitik berücksichtigt die gesamte Bandbreite im Umgang mit Tieren.

Über zehn Jahre nach der Aufnahme des Schutzes der Tiere in die Verfassung stehen wir nicht nur in Niedersachsen am Anfang für einen umfassenden Tierschutz. Notwendig sind mehr Vorgaben des Gesetzgebers, die nicht nur Tierschutzorganisationen und Tierschützer_innen, sondern auch die Gesellschaft von der Politik einfordert. Die Politik ist gefordert, konsequent für mehr Tierschutz einzutreten und endlich Verantwortung für das Tierwohl zu übernehmen.

Nutztierhaltung: Weg von der Industrialisierung und Anonymisierung in der Agrarwirtschaft

In den letzten Jahrzehnten hat eine von Verbraucher_innen fast unbemerkte Industrialisierung und Anonymisierung in der Agrarwirtschaft stattgefunden. Im Vordergrund stehen Effizienzsteigerung, niedrige Produktionskosten um damit niedrige Verbraucherpreise zu erzielen. Diese Art der Gewinnmaximierung geht auf Kosten der Qualität der produzierten Lebensmittel, auf Kosten von Gesundheit und Wohlergehen der Tiere und ebenso auf Kosten der Umwelt.

Grünes Ziel: Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft und der Ausbau des Ökolandbaus

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen haben sich seit jeher konsequent für einen verantwortungsvollen Umgang mit Tieren eingesetzt. Unser Ziel ist es, die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten und den Ökolandbau auszubauen.
In Deutschland werden derzeit mehr als 149 Millionen sogenannter Nutztiere, vor allem Schweine, Rinder, Geflügel, wie Puten und Hühnervögel, sowie Kaninchen gehalten. Davon entfällt der größte Teil auf Niedersachsen, dem Agrarland Nummer eins. Tierschutz muss deshalb bei den Tieren in der industriellen Produktion und in der Intensiv-Landwirtschaft anfangen.

Tierschutzplan Niedersachsen der richtige Weg

Die Umsetzung des Niedersächsischen Tierschutzplans durch den grünen Landwirtschaftsminister Christian Meyer und die rot-grüne Landesregierung ist ein erster Schritt für mehr Tierschutz. Die Verbandsklage zur Einführung der Verbandsklage für Tierschutzverbände ist beschlossen, und bald wird Niedersachsen eine_n eigenständige_n Tierschutzbeauftragte_n haben.

Das grüne Landwirtschaftsministerium hat sich zum Ziel gesetzt, die Ausführungen aus dem Gutachten ‚Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierte Nutztierhaltung‘ des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft konsequent um zu setzen.
Rot-Grün hat in Niedersachsen das Verbot des Schnäbelkürzens bei Enten umgesetzt. Bei Legehennen und Puten sind im Tierschutzplan im Einvernehmen mit den Vertreter_innen von Wissenschaft und Praxis Vereinbarungen für den Ausstieg vereinbart. Ebenso gibt es Praxisempfehlungen zum schnellstmöglichen Ausstieg aus dem Kürzen der Ringelschwänze bei Schweinen bis 2016. Um Anreize für mehr Tierwohl bei Schweinen und Hühnern zu schaffen, wurden in Niedersachsen Prämien für intakte Ringelschwänze und Schnäbel im Landeshaushalt bereitgestellt. Das Schlachten trächtiger Rinder gehört in Niedersachsen auf Grundlage von freiwilligen Vereinbarungen bald der Vergangenheit an.

Rot-Grün hat die bisherige Subventionspolitik für Großschlachthöfe und große Stallbauten zugunsten einer konsequent an Ökologie und Tierwohl orientierten Stallbauförderung umgestellt. Die baurechtliche Privilegierung gewerblicher Großställe wurde gestrichen und eine Filterpflicht für große Schweinemastanlagen eingeführt. Zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes für die Anwohner_innen von Großställen insbesondere im Geflügelbereich wurden verbindliche Keimschutzvorgaben gesetzlich festgelegt. Dies alles haben wir gegen z.T. heftige Widerstände durchgesetzt- aber wir wollen mehr.BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen fordern:

  • die Verstärkung und Verstetigung der eingeleiteten Maßnahmen zum Niedersächsischen Tierschutzplan.
  • den gezielten Einsatz europäischer Agrarinvestitionsprogramme für die Förderung von tiergerechten Haltungsbedingungen.
  • die artgerechten Haltungsbedingungen für alle Tiere fortlaufend nach den neuesten Erkenntnissen der Verhaltensbiologie der jeweiligen Tierart auszurichten.
  • die verbindlichen Nutztierhaltungsverordnungen des Bundes zu aktualisieren und derzeit nicht erfasste Tiere wie z.B. Puten neu aufzunehmen.
  • die Förderung geringerer Besatzdichten durch Schaffung entsprechender finanzieller Anreize. Gefördert werden sollten Ställe mit unterschiedlichen Funktionsbereichen, verschiedenen Bodenbelägen, Einstreu usw., damit die Tiere eine Wahlmöglichkeit haben und ihre arteigenen Bedürfnisse nach Wühlen, Scharren, Nestbau und Futtersuche nachkommen können.
  • die Tierhalter als auch das Betreuungspersonal müssen regelmäßige Sachkundenachweise ablegen. Ebenso sind die Kontrollen bei der fachgerechten Ausstallung von Tieren zu verbessern.
  • das Land soll die Forschung für Zweinutzungsrassen und gegen das Wegwerfen männlicher Küken verstärken
  • zukünftig die finanzielle Förderung von Ställen mit ganzjähriger Stallhaltung ohne Auslauf einzustellen.
  • den Ausstieg aus der Käfig-, Kastenstand- (Sauen) und Anbindehaltung (Rinder).
  • der Förderung von Betrieben mit Weidehaltung und Auslauf zukünftig verstärkt Priorität einzuräumen.

Für mehr Tiergesundheit und bessere Haltungsbedingungen in Niedersachsen

Die vorgesehene Reduzierung von Antibiotika um fünfzig Prozent in der Nutztierhaltung in fünf Jahren ist ein wichtiger Schritt für Mensch und Tier. Nur so können wir auch für zukünftige Generationen wirksame Antibiotika in der Tier- und Humanmedizin vorhalten. Die absolute Menge des Antibiotikaeinsatzes in der Tiermedizin sinkt, aber gleichzeitig steigt der Einsatz von sogenannten Reserveantibiotika, die unbedingt dem Menschen vorbehalten bleiben müssen.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen fordern:
  • den regelmäßigen Einsatz von Hoftierärzten für die Bestandsbetreuung und die Gesunderhaltung der Tiere.
  • Vorgaben für die Futterzusammensetzung, insbesondere in Nutztierhaltung, ausgerichtet auf die anatomischen Voraussetzungen und Bedürfnisse artgerechter Tierhaltung.
  • durch eine rot-grüne Bundesratsinitiative zum Bundestierschutzgesetz ein Verbot von Transport und Schlachtung hochtragender Tiere zu initiieren.
  • die Beendigung des Tötens von Millionen männlichen Eintagsküken innerhalb von zwei Jahren.
  • die Überprüfung der Wirksamkeit des Bolzenschusses bei Rindern sowie die Einleitung von Maßnahmen, um die Höhe der Fehlbetäubungen zu verringern.
  • die Novellierung der Tierschutztransportverordnung auf Bundes-und europäischer Ebene. Notwendig sind kürzere Transportzeiten, um die ausreichende Fütterung und Tränkung sicherzustellen, sowie ein Verbot von Tiertransporten bei extremen Wettersituationen und -temperaturen.
  • den verstärkten Aufbau regionaler Schlachtstätten und mobiler Schlachteinrichtungen, um Transportwege kurz zu halten.
  • den Ausbau regionaler Vermarktungsstrukturen.
  • verstärkte wissenschaftliche Untersuchungen, insbesondere zur Impfung im Tierseuchenfall, bei denen keine Gesundheitsgefährdung für den Menschen besteht. Ziel ist es, nicht ganze Tierbestände „keulen“ und damit töten zu müssen.
  • die Aufstockung der Mittel für die Tierschutzforschung und Tierschutzprojekte im Rahmen des Niedersächsischen Tierschutzplans.

Tierversuche überwinden

Wir Grüne wollen soweit wie möglich auf Tierversuche verzichten. Neben den ethischen Bedenken gibt es auch Zweifel an der wissenschaftlichen Aussagekraft von Tierversuchen. In Deutschland sind im weltweiten Vergleich kaum Anstrengungen sichtbar, das EU-Ziel zum Ausstieg aus der Methode Tierversuch zu erreichen. Wir Grüne wollen den Tierschutz bei der Bewertung und Genehmigung von Versuchen stärken, sowie die Kontrollen ausbauen. Projekte, die neue Alternativmethoden zu Tierversuchen entwickeln und deren Zahl wirksam reduzieren, sollen im Rahmen der Forschungsförderung besonders unterstützt werden.

Zirkusse und Zoos im Wandel

Auch bei Wildtieren etwa in Zirkussen, Zoos wollen wir den Tierschutz stärken.

Zoologische Einrichtungen sollen verstärkt den veränderten tiergartenbiologischen Erkenntnissen und dem Tierschutz Rechnung tragen und mit ihrem Fachwissen und ihrer Infrastruktur auch als Auffangstationen für beschlagnahmte Wildtiere aller Arten dienen, die nicht mehr ausgewildert werden können.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich seit langem für ein Wildtierverbot in Zirkussen ein. Zirkustiere können ihren artspezifischen Bedürfnissen nicht oder nur sehr eingeschränkt erfüllen.

Die Tiere, die im Zirkus gehalten werden, müssen tier- und bedürfnisangemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden können. Diese Tierarten sind in einer Positivliste zu erfassen und es müssen verbindliche Regelungen zu deren Haltung, Pflege und Verwendung definiert werden. Die Haltung aller anderen Tierarten muss – mit entsprechenden Übergangsregelungen – verboten werden. Das ist das effektivste Mittel zur Umsetzung des Tierschutzes und wurde auch vom Bundesrat bereits 2003 gefordert.

Jagd zeitgemäß gestalten

Die Jagd ist in der Gesellschaft ein häufig und kontrovers diskutiertes Thema. Wir GRÜNE stehen für eine zeitgemäße, ökologisch ausgerichtete und ethisch vertretbare Jagd.

Eine moderne Jagdausbildung muss nach neuesten Erkenntnissen der Wildtierökologie, der Verhaltensbiologie der Wildtiere, des Tierschutzes und der Tierethik erfolgen. Wir fordern für JagdscheininhaberInnen in bestimmten zeitlichen Abständen einen Befähigungsnachweis für den Gebrauch ihrer Jagdwaffen.

Die Jagd muss so störungsarm wie möglich durchgeführt werden BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich für mehr Lärmschutz sowie das Verbot bleihaltiger Munition bei der Jagd ein. Den Abschuss von Hunden und Katzen lehnen wir grundsätzlich ab.

Wir begrüßen die Beendigung der Jagd auf mehrere Gänsearten in Niedersachsen und die an wildbiologischen Erkenntnissen orientierten Einschränkungen der Jagd insbesondere in Vogelschutzgebieten durch die neue Jagdzeitenverordnung. Das Recht zur Einschränkung bzw. Untersagung der Jagd auf eigenen Flächen wollen wir erleichtern.

Klare Vorgabe bei Heimtieren und Exoten in Privathand

Auch bei Heimtieren bekommt der Tierschutz endlich einen höheren Stellenwert. Wir begrüßen das vorbildliche neue Hundegesetz in Niedersachsen mit dem verpflichtenden Sachkundenachweis und dem Verzicht auf Rasselisten. Um das Katzenelend in Niedersachsen zu reduzieren, wollen wir eine Kastrationspflicht für frei laufende Katzen. Exotische Tiere wie Schlangen, Spinnen oder Reptilien sind nicht nur gefährlich, sondern können oft nicht angemessen gehalten werden. Auch gefährdet ihr oft ungeregelter Handel auf Exotenbörsen den Artenschutz. Wir wollen daher eine Positivliste für die Haltung von exotischen Tieren mit klaren Vorgaben und einen verpflichtenden Sachkundenachweis, sowie Versicherungspflicht für die Exotenhaltung.

Allgemeiner Tierschutz in der Zucht

Bei der Züchtung insbesondere landwirtschaftlicher Nutztiere stehen Hochleistung und Optimierung im Vordergrund. Diese Zuchtziele verursachen schwere Schäden und Leiden und überfordern die körperliche Leistungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit der meisten Tiere. Auch einige Haustiere werden entsprechend menschlicher Schönheitsideale überzüchtet. Wir wollen endlich auf Bundesebene eine klare Definition von „Qualzuchten“ im Bereich von Heim- und Nutztieren, so dass §11 Tierschutzgesetz vollziehbar wird.

Tierschutzvollzug stärken

Die Schaffung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Tierschutzbelange durch das GRÜN geführte Justizministerium ist ein wichtiger Schritt. Wir wollen eine Stärkung von unabhängigen Kontrollen und Vollzug des Tierschutzes auf allen Ebenen. Wir wollen das Tierschutzgesetz des Bundes durch weitere Haltungsvorgaben konkretisieren. Wir wollen auch in Freizeitgestaltung, Arbeit und Sport vorhandene Leitlinien, Gutachten und Erlasse auf Neuentwicklungen beim Tierschutz überprüfen und rechtsverbindlich machen.

Tierschutz als Bildungsauftrag

Ganz wichtig ist die bessere Integration von Tierschutz und Tierrechten auch in der Bildung. Die Entwicklung sozialer Kompetenzen wie Mitgefühl, Fürsorglichkeit und Verantwortungsbewusstsein erfolgt bereits im Kindesalter. Daher wollen wir, dass das Thema Tierschutz und Sachkunde im Umgang mit Tieren verstärkt Eingang in frühkindliche pädagogische Konzepte findet. Grundsätzlich können Tierschutzthemen in fast alle Unterrichtsfächer eingebaut werden. Auch an den Hochschulen sollen Verhaltensbiologie und Tierschutzethik verstärkt Eingang in die Curricula finden. Im Bereich der Ausbildung von LandwirtInnen begrüßen wir die Vereinbarung zwischen Kultus- und Landwirtschaftsministerium für eine verstärkte Einbeziehung ökologischer Tierhaltung.

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Niedersachsen am 7./8. November 2015 in Osnabrück