Für mehr Transparenz in der Krisenkommunikation

Abwägungsprozesse zu Corona-Maßnahmen und Exit-Strategien transparenter und auf Grundlage von Kriterien diskutieren

Zur Eindämmung des Coronavirus werden viele Grund- und Freiheitsrechte in einem bislang den meisten unbekannten Ausmaß beschränkt. Das gesellschaftliche Leben ist weitgehend zum Erliegen gekommen, die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Pandemie werden erheblich sein. Es ist richtig, dass jetzt weitreichende Kontaktbeschränkungen gelten. Diese Beschränkungen gelten zunächst bis zum 19. April. Nach wie vor geht es darum, alles dafür zu tun, dass die Kurve der Infektionen abflacht.

Gerade weil dadurch existentielle Bürgerrechte eingeschränkt werden, muss eine öffentliche Debatte über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen geführt werden. Die Entscheidungsgrundlagen und Abwägungsprozesse müssen transparenter als bisher gemacht werden. Dazu gehört eine begleitende Evaluation der einschneidenden Maßnahmen, damit über die Beibehaltung oder eine schrittweise Rücknahme der Einschränkungen diskutiert und entschieden werden kann. Entscheidend ist dabei die Frage, ob und in welchem Umfang die jeweilige Maßnahme zur Verminderung der Infektionsrate oder zur Verminderung schwerer Infektionsverläufe beiträgt. Eine offene und transparente Debatte mit einer Abwägung der Verhältnismäßigkeit aller Maßnahmen ist nötig. Sie gehört zum Wesen einer funktionierenden Demokratie und ist auch Voraussetzung für die Akzeptanz weiterer Maßnahmen und Entscheidungen. Deshalb muss diese Diskussion gesamtgesellschaftlich unter Berücksichtigung unterschiedlicher Aspekte geführt werden. Neben epidemiologischen Argumenten gehören dazu auch soziale und wirtschaftliche Fragen. Oberstes Ziel muss weiter bleiben, die Geschwindigkeit der Ausbreitung des Virus so zu verlangsamen, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems vermieden wird, um viele Todesfälle zu vermeiden. Wichtig ist, dass die Kriterien aus epidemiologischer, sozialer und wirtschaftlicher Sicht genau definiert werden und für die Bevölkerung nachvollziehbar sind. Anhand dieser Kriterien ist zu entscheiden, wann eine Fortsetzung oder gegebenenfalls Ausweitung bestimmter Maßnahmen erforderlich ist oder aber welche Maßnahmen sind nicht zweckmäßig sind oder zielgerichteter umgesetzt werden können.

Bei einer schrittweisen Lockerung muss auch darauf geachtet werden, dass sie nicht zur Isolation bestimmter Teile der Bevölkerung führt. Potenzielle Risikogruppen wie Vorerkrankte und Ältere zu isolieren, statt Kontakte insgesamt möglichst zu vermeiden, ist in der Praxis weder umsetzbar, noch sind die massiven sozialen und gesellschaftlichen Folgen einer solchen Maßnahme hinnehmbar.

Nach welchen Kriterien und Szenarien die Entscheidung über weitere Maßnahmen oder die schrittweise Rücknahme aussehen kann, darf nicht allein in Hinterzimmern bzw. Video- und Telefonkonferenzen zwischen Kanzlerin und Ministerpräsident*innen und in Landesregierungen entschieden werden.

Über Exit-Strategien zu diskutieren bedeutet im Übrigen nicht, zu suggerieren, dass Maßnahmen in den nächsten Tagen gelockert werden sollen. Stattdessen geht es darum, gerade angesichts massiver Einschränkungen von Grundrechten die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen auf der Grundlage von Kriterien öffentlich zu diskutieren und abzuwägen. Das ist zentraler Bestandteil einer Demokratie.