Erfolgreiche Energiewende braucht eine Politik der fairen Wärme

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Niedersachsen am 28. und 29. Mai 2016 in Gifhorn

Bei der Klimaschutzkonferenz in Paris wurde der Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung beschlossen.Um die Erderwärmung tatsächlich auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen nun endlich auch in Deutschland die Weichen für eine mutige Klimaschutzpolitik gestellt werden, denn die Menge der hier produzierten Treibhausgase muss dringend sinken.

Das Konzept der grünen Landtagsfraktion in Zusammenarbeit mit der Landesarbeitsgemeinschaft Energie hat gezeigt, wie wir bis 2040 den Umstieg auf 100 % Erneuerbare Energien bei Strom, Wärme und Mobilität schaffen können. Diese vollständige Energiewende ist unser Ziel, daran arbeiten wir konsequent, Tag für Tag.

Energiewende braucht nachhaltige und faire Wärme

Aber die Energiewende wird nur mit dem zügigen Umbau unserer Wärmeversorgung gelingen: Raumwärme, Warm-Wasser und Prozesswärme in Industrie und Gewerbe benötigen den größten Teil der Endenergie in Deutschland – Verkehr und Strom verbrauchen jeweils grob ein Viertel, Wärme macht etwa die Hälfte aus. Hier liegen zudem mit Abstand die größten Einspar-Potentiale und damit der Schlüssel zu einer nachhaltigen Energieversorgung – mit Energieeffizienz, Energiesparen und Erneuerbaren Energien.

Doch die großen Chancen für Klimaschutz, Energiewende und Kostensenkung werden nicht genutzt. Seit Jahren dümpelt der Anteil der Erneuerbaren an der Wärmeversorgung bei nur 12 Prozent herum, doch die Bundesregierung ignoriert die Stagnation und versagt bei der Umsetzung notwendiger Maßnahmen. Damit untergräbt sie ihr eigenes erklärtes Ziel, spätestens bis zum Jahr 2050 einen „nahezu klimaneutralen Gebäudebestand“ zu erreichen.

Bei der Energieeffizienz sieht es nicht besser aus. Viele Möglichkeiten zum ergiebigeren Einsatz von Energie und zum Energiesparen bleiben weiter ungenutzt. Die privaten Haushalte benötigen im Vergleich zu 1990 mehr Energie statt weniger. Denn die zu beheizende Wohnfläche hat stärker zugenommen als der spezifische Energieverbrauch abgenommen.

Auch bei den Nichtwohngebäuden liegen weiterhin große Potentiale zur Energieeinsparung brach. In einer Phase vergleichsweise niedriger Öl- und Gaspreise sind die finanziellen Anreize für Unternehmen gering, Investitionen in Energieeffizienz zu tätigen. Dabei wäre gerade jetzt die Zeit günstig, sich für künftige Energiepreisschwankungen zu wappnen und so finanziell unabhängiger zu werden – das wäre auch eine große Chance insbesondere für Kommunen.

Zu allererst muss zwar die Bundespolitik die richtigen Bedingungen für Energiesparen und Erneuerbare Energien schaffen. Doch auch die Entscheidungen vor Ort stellen entscheidende Weichen für die Energiewende: Kommunen bestimmen beispielsweise bei der Siedlungsentwicklung und dem Aufbau von Infrastrukturen, ob der Energiebedarf langfristig hoch oder niedrig ist. So können lokale Nahwärmenetze mit einem hohen Anteil Erneuerbarer Energien alte und ineffiziente Ölkessel in den Kellern ablösen.

Umfassende Sanierungsprogramme für ganze Wohnviertel sorgen nicht nur für besseres Klima, sondern auch für Wertschöpfung vor Ort. So wird das Handwerk zum Verbündeten für grüne Energiepolitik. Klimaschutz und ambitionierte Anforderungen an Qualitätsstandards gehen Hand in Hand. Und auch bezahlbares Wohnen wird durch niedrige Heizkosten langfristig überhaupt erst möglich. Das ist ein maßgeblicher Aspekt in Zeiten steigender Mieten in den Städten.

Bezahlbares Wohnen, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz zusammen denken

In den letzten Monaten ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum auf allen politischen Ebenen ganz oben auf die politische Tagesordnung gerutscht – doch zur Erreichung dieses Ziels wurde u.a. aus der Wohnungswirtschaft gefordert, die energetischen Standards zu senken. Aber wir lassen nicht zu, dass hohe Qualität und niedriger Energieverbrauch auf der einen Seite und bezahlbares Wohnen für einkommensarme Bevölkerungsgruppen und Geflüchtete auf der anderen Seite gegeneinander ausgespielt werden sollen. Mit unseren grünen Konzepten erreichen wir Klimaschutz und verträgliche Wohnkosten gleichermaßen. Der Prozess der kontinuierlichen Anhebung von energetischen Standards muss fortgesetzt und weiterentwickelt werden, u.a. durch Betrachtung der Gesamtenergie- und Ressourcenbilanz eines Gebäudes über den Lebenszyklus. Hier liegt ein Schlüssel für Klimaschutz und Innovation, der auch wirtschaftlich Sinn macht. Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass die Bauministerkonferenz dem Versuch der Wohnungswirtschafts-Lobby, die energetischen Standards abzusenken, bisher eine Absage erteilt hat. Die jahrelangen Versäumnisse in der Wohnbauförderung sind offenkundig. Sie werden sich nicht auf die Schnelle und zum Nulltarif kompensieren lassen – und dürfen auf keinen Fall zu Lasten des Klimaschutzes gehen.

Niedersachsen als Impulsgeber

Wesentliche Weichenstellungen sind auf Bundesebene zu treffen. Aber die Bundesländer haben ebenfalls weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten. Wir Grüne werden alle Maßnahmen vorantreiben, die den Umstieg auf eine umwelt- und klimaschonende Wärmeversorgung beschleunigen. Deshalb wollen wir uns dafür einsetzen, dass Niedersachsen weiter gehende Impulse für die Energie- und Wärmewende setzt:

  • in Zusammenarbeit mit der kommunalen Finanzaufsicht Rechtssicherheit zu schaffen für lokale Bürger-Energieeinspar-Contracting-Modelle
  • die energetische Sanierung der landeseigenen Liegenschaften weiter zu intensivieren und eine Sanierungsrate von 4% jährlich zu erreichen.
  • das niedersächsische Klimaschutzgesetz weiter voranzubringen
  • zu prüfen, ob Regelungen zur rechtssicheren Einspeisung von Wärme in Wärmenetze mit angemessener Vergütung auf Landesebene möglich sind, sofern die Bundesregierung hier keine Vorschläge macht
  • das Element der im Landeswohnraumförderprogramm enthaltenen energetischen Modernisierung stärken
  • die Strukturen im Bereich Wohnungsbau, Siedlungsentwicklung und Klimaschutz besser zu vernetzen und zu verzahnen, z.B. durch eine Integration von Klimaschutzzielen und die Beteiligung entsprechender Klimaschutz-Akteure im Rahmen der bestehenden Konzertierten Aktion Bauen und Wohnen und eine entsprechende Beratung und Vernetzung der Kommunen
  • die zuständigen Behörden dabei unterstützen, ihre Aufgabe der Vollzugsüberprüfung bei der Einhaltung der Energieeinsparverordnung (EnEV) wahrzunehmen, z.B. über die Einführung eines runden Tisches zum zielgerichteten Austausch mit Kommunen und dem Schornsteinfeger-Handwerk – im Fokus sollte vor allem der Verbraucher-/Mieterschutz stehen, denn wenn der Vermieter die Anforderungen (z.B. Austausch der Heizkessel nach 30 Jahren) nicht beachtet, zahlen die Mieter höhere Heizkosten als nötig. Geprüft werden sollten in diesem Zusammenhang auch verbindliche Instrumente, die zur Sicherstellung der kommunalen bauaufsichtlichen Aufgaben führen.
  • von Landesseite weiterhin die Arbeit und den Aufbau regionaler Beratungszentren und –netze für energetische Gebäudesanierung unterstützen
  • ein Sonderprogramm für ökologisches Bauen und Sanieren seitens der NBank zu entwickeln, das zukunftsweisende Impulse jenseits der gängigen Standards setzt (z.B. ökologische Gesamtbetrachtung des Gebäudes über gesamten Lebenszyklus).
  • bei der Weiterentwicklung der niedersächsischen Bauordnung zur Verbesserung des Klimaschutzes beizutragen und die verbindliche Vorlage des Wärmeschutznachweises bei der Baubehörde wieder einzuführen
  • bestehende Förderprogramme für kommunale Quartiers-Sanierungsmanager durch entsprechende Programme der N-Bank zu ergänzen
  • Pilotprojekte zur kommunalen Wärmeplanung zu unterstützen

Bundesregierung muss handeln

Die Bundesregierung ist in der Pflicht, für wesentliche Rahmensetzungen zu sorgen:

  • eine klimagerechte Förderpolitik: Heizungssysteme auf Basis fossiler Energieträger sollen nicht mehr mit Steuergeld gefördert werden – weder im Neubau, noch beim Austausch im Bestand
  • das Erneuerbare Energien Wärme Gesetz (EEWärmeG) auf den Bestand auszuweiten: Wenn eine Heizung sowieso ausgetauscht wird, soll im neuen Heizungssystem anteilig mit Erneuerbaren geheizt werden
  • bei der anstehenden Novelle der Energieeinsparverordnung  (EnEV) und der geplanten Verschränkung mit dem EEWärmeG die Umsetzung in der Praxis deutlich zu erleichtern, ohne dabei die Vorgaben abzuschwächen und endlich den Klimaschutz in den Vordergrund der Regelungen zu stellen:
  • die CO2-Vermeidung stärker in den Fokus der energetischen Anforderungen und Berechnungsmethoden zu machen
  • die  Quartierssanierung als Ergänzung zur Einzel-Gebäude-Betrachtung in die Regelungen einzubeziehen
  • die  „Kompensationsmöglichkeiten“ – sogenannte “Ersatzmaßnahmen“ – für erneuerbare Wärmeerzeugung (z.B. durch Dämmung) kritisch zu überdenken
  • den bei der Gebäudeherstellung und -entsorgung entstehenden Energie- und Ressourcenverbrauch (Graue Energie) im Sinne einer Lebenszyklusbetrachtung in die energetische Bewertung von Gebäuden einzubeziehen und dies auch bei künftigen Förderprogrammen zu berücksichtigen
  • den Energieausweis für Gebäude zu vereinheitlichen und zu einem verlässlichen und transparenten Instrument für Verbraucher*innen zu machen: Gebäudeenergieverbrauchsausweis abschaffen und den Gebäudeenergiebedarfsausweis für alle Situationen verpflichtend machen sowie die Potentiale für CO2-Vermeidung in der Darstellung der Modernisierungsempfehlungen zu ergänzen
  • die unabhängige Energieberatung flächendeckend auszubauen und sinnvoll zu vernetzen und konkrete Handlungsempfehlungen für Gebäudeinhaber*innen z.B. über Sanierungsfahrpläne bereitzustellen
  • ein neues Förderprogramm mit 2 Mrd. Euro jährlich aufzulegen für energetische Quartierssanierung, davon sollen insbesondere einkommensarme Bevölkerungsgruppen profitieren, die zur Miete wohnen. Die Warmmiete der betroffenen Mieter im entsprechenden Sanierungsjahr darf sich dabei nicht mehr als 5% erhöhen. Zudem sollte eine Mietpreisbindung mit festen Erhöhungsmargen für einen zu bestimmenden Zeitraum verbunden werden. z.B. 10 Jahre, jährlich max. 2%.
  • mehr Geld vom Bund für das Marktanreizprogramm Erneuerbare Wärme
  • Öffnung bestehender Wärmenetze für dezentrale Einspeiser, insbesondere für Erneuerbare Wärme vorantreiben, durch Schaffung gesetzlicher Regelungen, die eine rechtsicherere und angemessene Vergütung sicherstellen bei der Einspeisung dezentraler Wärme (z.B. Abwärme aus Industrie und Gewerbe oder Wärme aus großen Solarparks)
  • bessere Förderung von (Nah-)Wärmenetzen und Wärmespeichern, wo dies sinnvoll ist. Insbesondere die Kommunen und Kreise sollten hierbei berücksichtigt werden, wenn sie entweder einen eigenen Versorger aufbauen wollen, oder in die Rekommunalisierung anteilig oder ganz verkaufter Versorgung investieren wollen, um solche Wärmeversorgungsstrukturen aufzubauen. Beim Aufbau von Wärmenetzen nicht kommunaler Träger (Energiegenossenschaften, Wohnungswirtschaft …) sollen die unrentierlichen Kosten bezuschusst werden. Sofern bei der Vergabe von Netzkonzessionen bestimmte Auflagen zur Wärmeeffizienz eingehalten werden, soll die Förderung höher ausfallen.
  • gerade jetzt die Zeiten niedriger Ölpreise zu nutzen und die Energiesteuern („Ökosteuer“) auf Erdgas und Heizöl an die tatsächlichen externen Umwelt- und Gesundheitskosten anzupassen und in Zukunft zumindest abhängig von der Inflation regelmäßig zu erhöhen (Indexierung) und damit den Rückstand bei der Besteuerung von fossilen Heizstoffen in Deutschland im europäischen Vergleich auszugleichen
  • um stillstehende Erdgas-KWK-Bestands-Anlagen wieder ans Netz zu bringen, damit sie für Wärmenetze zur Verfügung stehen (und damit Kohle-KWK aus dem Markt zu drängen), muss der EU-Emissionshandel dringend reformiert werden. Wenn dies nicht zeitnah gelingt, sollte ein CO2-Mindestpreis in Deutschland eingeführt werden.

Landesdelegiertenkonferenz Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Niedersachsen am 28. und 29. Mai 2016 in Gifhorn