Durch Steuerhinterziehung gehen rund 50 Milliarden Euro verloren

Interview mit dem Bundesvorsitzenden der Steuer-Gewerkschaft Thomas Eigenthaler

Steuern stehen mal wieder zur Diskussion bei GRÜN im Herbst dieses Jahres. Wie die Deutsche Steuer-Gewerkschaft die grünen Pläne beurteilt, das haben wir ihren Bundesvorsitzenden Thomas Eigenthaler gefragt.

Redaktion: Ein Instrument, das Bündnis 90/Die Grünen aktuell diskutieren, um dem Auseinanderdriften von Arm und Reich entgegenzuwirken ist die Vermögenssteuer: Die GRÜNE Vermögenssteuer soll als Millionärssteuer ausgestaltet werden. Das heißt: Der Steuersatz soll maximal ein Prozent betragen, der persönliche Freibetrag bei mindestens 1 Million Euro liegen. Die GRÜNEN rechnen mit einem Aufkommen von 10 Milliarden Euro. Im Vergleich mit den Einnahmen anderer Steuerarten eher Peanuts. Lohnt sich der Aufwand?

Thomas Eigenthaler: Nun, jede Steuer hat ihren spezifischen Verwaltungsaufwand, auch eine Vermögensteuer. Sonst dürfte es ja auch keine Erbschaftsteuer geben, deren Ertrag „nur“ bei rd. 5 Mrd. Euro liegt. Das Grundgesetz nennt ausdrücklich sowohl die Erbschaftsteuer wie auch die Vermögensteuer. Beide Steuern stehen den Ländern zu, die sie auch verwalten müssen und damit die Verwaltungskosten aufbringen müssen. Entscheidend ist die Zahl der „Steuerfälle“. Kostensparend wäre es, wenn man die Erhebung der Steuer in wenigen Finanzämtern pro Bundesland zentralisieren würde, so dass nicht jedes Finanzamt Ressourcen vorhalten muss. Auch sollte ein Vermögensteuergesetz wenige Ausnahmen haben, weil diese sehr prüfungsintensiv sind. Man sollte aus dem Gezerre um die Reform der Erbschaftsteuer lernen und es bei einer Vermögensteuer besser machen: wenige Ausnahmen, dafür ein moderater Steuersatz. Das vermeidet Ungerechtigkeit und schafft eher Akzeptanz. Der Aufwand ist daher für mich kein k.o.-Kriterium.

Redaktion: Eines unserer grünen Ziele ist es auch, trotz Schuldenbremse in die öffentliche Infrastruktur und Bildung zu investieren. So wollen wir für mehr Chancengerechtigkeit sorgen und sozialen Aufstieg erleichtern. Sind die Instrumente, die wir dafür aktuell diskutieren aus Ihrer Sicht geeignet?

Thomas Eigenthaler: Ich begrüße es, dass sich die GRÜNEN intensive Gedanken um eine gerechte und zukunftsorientierte Finanz- und Steuerpolitik machen. Vieles ist im Fluss und muss neu überdacht werden. Ich unterstütze z. B. ausdrücklich alles, was der Bekämpfung von Steuerflucht dient. Hier geht es nicht allein um Einnahmen für den Staat, sondern auch um Wettbewerbsgleichheit zwischen den Unternehmen. Richtig ist auch der Vorschlag, die Bezieher von Kapitaleinkünften nicht länger zu privilegieren. Richtig ist auch, über eine Neuausrichtung der Vermögensteuer nachzudenken. Es gibt ein Vermögensteuergesetz, das jedoch nicht angewendet werden darf, weil sich die Politik bislang geweigert hat, die Grundbesitzwerte neu festzulegen. Viele Gegner der Vermögensteuer haben vergessen, dass diese Steuer formal nie abgeschafft wurde. Sie befindet sich sozusagen im Dornröschenschlaf und könnte mit gutem Willen „wach geküsst“ werden.

Redaktion: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanzverwaltungen setzen sich täglich mit Einkommen und Vermögen von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern auseinander. Wird Ihrer Meinung nach das Potential für Steuereinnahmen heute bereits voll ausgeschöpft? Oder ist da noch Luft nach oben? Stichwort: Steuerhinterziehung?

Thomas Eigenthaler: Allein durch kriminelle Steuerhinterziehung gehen dem Fiskus jedes Jahr geschätzt rd. 50 Mrd. Euro durch die Lappen. Hinzu kommt Jahr für Jahr eine milliardenschwere Steuerflucht großer Unternehmen, indem Gewinne in Niedrigsteuerländer wie Luxemburg, Niederlande oder Irland verschoben werden. Dies ist zwar nicht illegal, aber man könnte durch verstärkte Betriebsprüfungen hier so manche Steuergestaltungsakrobatik besser unter die Lupe nehmen. Aber der Staat setzt viel zu wenig Betriebsprüfer ein. Ein solcher Prüfer kostet übrigens nur einen kleinen Bruchteil dessen, was er an Mehrsteuern einnehmen könnte. Konzerne können seit Jahren nur stichprobenhaft geprüft werden und mittelgroße Unternehmen bekommen nur alle 15 Jahre Besuch vom Finanzamt. Die Steueraufsicht in Deutschland ist daher bei weitem nicht optimal. Das Nachsehen haben Bund, Länder und auch die Kommunen.

Redaktion: Wie beurteilen Sie die Einigung von Bund und Ländern zur Erbschaftssteuer? Die Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion sieht die Einigung kritisch. Zum einen ist sie der Auffassung, dass „das Betriebsvermögen […] durch die Reform heruntergerechnet [wird]“; zum anderen befürchtet sie Klagen von „Erben von Geld- oder Immobilienvermögen, die weiterhin voll Steuer zahlen müssen“ und dass das Gesetz ein weiteres Mal vorm Bundesverfassungsgericht landen wird. Welche Auswirkungen hat die Reform auf Niedersachsen? Lässt sich das abschätzen im Vergleich zum Status quo?

Thomas Eigenthaler: Die Reform erfüllt für mich nicht die Vorgaben des Verfassungsgerichts. Zwar werden formal die Hürden für große Betriebsvermögen höher, aber erfahrene Steuerberater werden diese problemlos nehmen. Es bleibt im Grunde fast alles wie gehabt. Die sogenannten Verschonungsregelungen sind noch komplizierter geworden, was vor allem für die Finanzämter deutlich mehr an Prüfungs- und Überwachungsaufwand bedeutet. Die Interessengruppen haben ganze Arbeit geleistet, und die Familienunternehmen haben bei dem Gesetzgebungsprozess praktisch mit am Tisch gesessen. Vielleicht müssen einige Unternehmen gegenüber dem alten Recht etwas mehr bezahlen. Aber ich erwarte zunächst insgesamt eher ein sinkendes Steueraufkommen, weil es aus Furcht vor einer Gesetzesverschärfung viele Vorzieh-Effekte gab. Das Land Niedersachsen wird daher nicht mit Mehrertrag rechnen können.  Das eigentliche Grundproblem der Erbschaftsteuer bleibt durch den Reformvorschlag weiter ungelöst: manche Erben zahlen eine Erbschaftsteuer bis zu 50 Prozent, während die allermeisten Erben von Familienunternehmen zum Nulltarif davon kommen werden. Das ist nicht gerecht. Ich erwarte daher, dass die Erbschaftsteuer bald ein viertes Mal auf dem Tisch des Bundesverfassungsgerichts landen wird.

Redaktion: Und jetzt mal Butter bei die Fische: Wie würde ein Mensch, der in einer Finanzverwaltung arbeitet, Umverteilung organisieren? Was ist aus Ihrer Sicht das geeignetste Mittel/die geeignetste Stellschraube?

Thomas Eigenthaler: In der Alltagsarbeit macht es sich ein Bearbeiter im Finanzamt gar nicht  bewusst, dass Steuern auch eine Umverteilungsfunktion haben. Die Bearbeiter kämpfen mit einem extrem schwierigen Steuerrecht mit vielen Ausnahmen und komplizierten Einzelprüfungen. Man ist froh, wenn man halbwegs über die Runden kommt. Viele leiden im Finanzamt darunter, dass man dort den gesetzlichen Auftrag wegen Personalmangels schlicht weg nicht erfüllen kann. Steuerhinterziehung und Gewinnverschiebungen ins Ausland werden dadurch begünstigt. Vereinfachung täte dringend not. Viele im Finanzamt kritisieren auch, dass Arbeit eher hoch besteuert wird, während zum Beispiel die Einkünfte aus Kapitalvermögen durch eine anonyme Abgeltungsteuer privilegiert sind. Für viele im Finanzamt ist auch unverständlich, dass große private Vermögen nicht konsequenter zur Finanzierung des Gemeinwesens heran gezogen werden. Richtig kurios ist es, dass wir ja ein Vermögensteuergesetz haben, es darf nur seit 20 Jahren nicht angewendet werden, weil die Immobilienwerte über 50 Jahre alt sind. Das könnte man aber sehr schnell ändern, aber es fehlt am politischen Willen. Die Themen „Steuervereinfachung“ und „Steuergerechtigkeit“ müssen dringend angegangen werden.

Die Fragen stellte Johanna Forys.

Das Interview erschien in gekürzter Form in unserem Mitgliedermagazin GRÜNE Zeiten.