Ökologisches Gleichgewicht wiederherstellen: Böden schützen, Natur- und Artenschutz voranbringen!

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Niedersachsen am 7./8. November 2015 in Osnabrück

Der Schutz der Umwelt und unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist für unser Überleben auf der Erde von entscheidender Bedeutung und damit zentrales Anliegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Seit den Anfängen der Umweltbewegung konnten in Deutschland in einigen Bereichen Fortschritte erzielt werden: Insbesondere bei der Reinigung der Abluft aus Industriebetrieben, der Abgase von Fahrzeugen und der Abwässer in Kläranlagen sind Verbesserungen zu verzeichnen. Von dem Ziel, unsere natürlichen Ressourcen nicht über ihre Regenerationsfähigkeit hinaus zu nutzen, sind wir jedoch trotz aller Erfolge noch weit entfernt. In vielen Bereichen wachsen die Gefährdungen für unsere Lebensgrundlagen immer noch an:

  • Nach wie vor geht zu viel wertvoller Boden durch Erosion, Bodenabbau, Zersiedelung, Verkehrsbauten und landwirtschaftliche Übernutzung dauerhaft verloren.
  • Trotz mancher Erfolge im Naturschutz setzt sich der Artenrückgang weiter fort.
  • Wir verlieren wertvolle, unersetzbare tropische und boreale Urwälder.
  • Unser Grundwasser wird insbesondere durch diffuse Einträge aus der Landwirtschaft belastet.

Darüber hinaus ist der menschengemachte Klimawandel die größte umweltpolitische Herausforderung der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Seine Auswirkungen auf die Ökosysteme an Land und in den Meeren führen zu dramatischen Veränderungen für Pflanzen und Tiere weltweit.(Hierzu hat die LDK in Stade im Februar 2015 einen umfangreichen Beschluss gefasst).

Böden schützen, Landnutzung nachhaltig gestalten

Böden bilden die zentrale Lebensgrundlage für Menschen, Tiere und Pflanzen. Sie sind die Grundlage für die Erzeugung von Nahrungsmitteln, Standort forstlicher Nutzung, haben eine wichtige Filterfunktion für unser Wasser, sind Puffer für Schadstoffe und einer der größten natürlichen Kohlenstoffspeicher. Damit sind sie auch für den Klimaschutz von zentraler Bedeutung. Böden sind ein wichtiger Lebensraum: Ein Gramm Boden enthält Milliarden von Mikroorganismen; unter unseren Füßen leben Millionen von Bodentieren. Bodenorganismen bauen abgestorbene Biomasse ab und spielen so eine entscheidende Rolle bei der Bodenbildung und der Erschließung von Nährstoffen für das Pflanzenwachstum.

Unsere Böden, ihre Funktionen und ihre Lebensgemeinschaften sind zahlreichen Gefährdungen ausgesetzt. Diese reichen von Nutzungsweisen, die das Bodenleben und den Humusgehalt beeinträchtigen über eine zu hohe Belastung durch Schadstoffeinträge bis hin zu der völligen Zerstörung durch Versiegelung, Erosion oder Bodenabbau. Eine nachhaltige Bodennutzung muss all diese Aspekte berücksichtigen.

Daher setzen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen dafür ein, dass:
  • der Flächenverbrauch von derzeit bundesweit rund 70 ha pro Tag deutlich reduziert wird. Das erreichen wir durch konsequente Umsetzung der Vorgaben aus dem 2013 weiter verschärften BauGB, durch kommunale Bauleitplanung und eine vorausschauende Verkehrsplanung von Bund und Ländern. Es müssen Anreize zum Flächensparen und für Entsiegelung geschaffen werden. Dazu gehören der Vorrang der innerörtlichen Entwicklung vor der Außenentwicklung sowie der Verzicht auf Einzelhandel und Factory-Outlet-Center außerhalb der Ortschaften. Durch verstärktes Recycling von Baustoffen soll außerdem eine Verringerung des Abbaus von Sand, Kies und Steinen erreicht werden. Zum Flächensparen ist auch ein Flächenrecycling von bebauten Brachflächen nötig. Bei Gewerbebrachen muss eine zügige Untersuchung auf Bodenverschmutzungen und – falls nötig – eine Sanierung erfolgen.
  • der Einsatz organischer und mineralischer Düngestoffe grundsätzlich dem Entzug der auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen angebauten Nutzpflanzen entspricht. Mit der anstehenden Novelle der Düngeverordnung des Bundes muss der Stickstoffbilanzüberschuss inklusive des Luftpfads auf maximal 40 kg/ha und Jahr festgeschrieben werden, um eine wirksame Begrenzung der Überschüsse bei Stickstoff und Phosphat festzulegen. Die Düngung mit Phosphaten muss vor allem bei überversorgten Böden auf ein Maß begrenzt werden, das einen Abbau der vorhandenen Überschüsse sicherstellt. Die ordnungsgemäße Düngung muss darüber hinaus durch eine betriebliche Hoftorbilanz wirksam kontrolliert werden.
  • der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und auf kommunalen Flächen deutlich reduziert wird. Dazu müssen der ökologische Landbau, der ohne chemisch-synthetischen Pflanzenschutz auskommt, weiter gestärkt und der integrierte Pflanzenschutz, der die Anwendung chemischer Mittel auch in der konventionellen Landwirtschaft nur als Ultima Ratio vorsieht, stärker unterstützt werden. Das Verbot von Glyphosat auf öffentlichen Flächen durch das Land ist ein erster wichtiger Schritt, weitere müssen folgen. Im privaten Bereich muss auf Pestizide vollständig verzichtet werden.
  • der Bodenerosion durch Wasser und Wind wirksam begegnet wird. Dazu gehören der Schutz durch Windschutzstreifen, Hecken und Feldgehölze ebenso wie die Nutzung besonders erosionsgeneigter Hanglagen als Grünland. Die Beratung zu und die Nutzung von EU-Förderprogrammen (Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums) zu diesem Zweck ist auszubauen.
  • der Humusgehalt des Bodens erhalten bleibt und bei standortbezogen niedrigen Humusgehalten wieder erhöht wird. Das stärkt das Bodenleben, die natürliche Bodenfruchtbarkeit und dient dem Klimaschutz.
  • Die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm in Niedersachsen soll auf Klärschlämme guter Qualität mit geringen Schadstoffgehalten beschränkt bleiben. Da sich Schwermetalle, Chemikalien und andere Schadstoffe im Klärschlamm anreichern, müssen diese Einträge an der Quelle durch verstärkte Kontrolle der Einleiter deutlich reduziert werden. Vor dem Hintergrund, dass der rechtliche Rahmen für die Klärschlammentsorgung neu geregelt wird, müssen im Umgang mit Klärschlamm langfristig neue Wege gegangen werden.

Artenschutz stärken, Biodiversität erhalten

Artenschutz bedeutet, den Erhalt der heimischen Tiere und Pflanzen in ihren Lebensräumen zu fördern und sie vor dem Aussterben zu bewahren. Er ist ein wesentlicher Beitrag zur Verwirklichung der Ziele des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt. Unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten sind eng miteinander verbunden und voneinander abhängig. Damit führt die Ausrottung einer Art häufig auch zum Aussterben anderer Arten. Durch die Zerstörung der im Laufe der Evolution entstandenen Vielfalt berauben wir uns und zukünftige Generationen außerdem der genetischen Reserve, die diese darstellt und damit wichtiger Entwicklungsmöglichkeiten wie neuer Nahrungsmittel oder Fortschritten in Technik, Chemie oder Medizin. Die sichtbaren Erfolge im Natur- und Artenschutz wie die erfreuliche Entwicklung bei den Beständen von Fischotter, Weiß- und Schwarzstorch oder Seeadler und die Rückkehr des Wolfes können nicht darüber hinwegtäuschen: Die meisten Tier- und Pflanzenarten sind nach wie vor in einem schlechten Zustand. Rund zwei Drittel der Säugetiere und Wildbienenarten, rund die Hälfte unserer Brutvogelarten, 58 Prozent der Großschmetterlinge und fast 40 Prozent unserer heimischen Farn- und Blütenpflanzen sind in ihrem Bestand gefährdet. Hauptursache hierfür ist vor allem die intensive industrielle Landwirtschaft. Gerade Arten, die in offener Landschaft leben, etwa die typischen Wiesen- und Weidevögel wie Uferschnepfe, Kiebitz oder Brachvogel, für die Niedersachsen auch international betrachtet eine besondere Verantwortung hat, gehen in ihren Beständen nach wie vor dramatisch zurück.

Das gesetzliche Rückgrat des Naturschutzes ist das europaweite Schutzgebietsnetz ’Natura 2000‘, das sich aus den Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Gebieten und den Vogelschutzgebieten zusammensetzt. Aufgrund schwarz-gelber Versäumnisse im vergangenen Jahrzehnt steht Niedersachsen hier an vorletzter Stelle in Deutschland: Obwohl Niedersachsen ein Flächenland ist, sind nur 6,8 Prozent der Landfläche Niedersachsens bisher Natura-2000-Gebiet; bundesweit sind es immerhin 9,3 Prozent und im EU-Durchschnitt sogar rund 17 Prozent der Landfläche. Um den rechtsverbindlichen Schutz und das Management selbst dieser mehr als bescheidenen Gebietskulisse ist es nicht gut bestellt. Nicht zuletzt aufgrund der Defizite bei der Herstellung des nationalen Schutzstatus durch Ausweisung von Naturschutzgebieten oder qualifizierten Landschaftsschutzgebieten in Niedersachsen hat die EU-Kommission daher ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen setzen sich dafür ein, dass:
  • die Defizite bei der Ausweisung und beim Schutz der Natura-2000-Gebiete sukzessive abgearbeitet werden, indem die bisher noch fehlenden Gebiete oder Gebietsteile aufgenommen und die zuständigen Kommunen bei der Ausweisung von Natur- und Landschaftsschutzgebieten unterstützt werden.
  • für sämtliche Natura-2000-Flächen, die als Nationalpark, Natur- oder Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen sind, eine dem Schutzzweck entsprechende Verordnung erstellt und Managementpläne aufgestellt werden, deren Umsetzung gewährleistet wird. Die hierzu erforderlichen Erlasse werden so aktualisiert, dass sie einen umfassenden Schutz aller wertgebenden Merkmale der Gebiete ermöglichen.
  • der Moorschutz durch eine strikte Begrenzung des weiteren Torfabbaus und gezielte Umsetzung des Niedersächsischen Moorschutzprogramms vorangebracht wird. Denn: Die Zerstörung von Moorböden verursacht in Niedersachsen über 12 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen. (vgl. auch den Beschluss der LDK Stade vom Februar 2015)
  • der Bestandsrückgang der besonders bedrohten Arten des Grünlandes durch gezielte Naturschutzförderprogramme in Kooperation mit der Landwirtschaft gestoppt und schrittweise wieder umgekehrt wird.
  • mindestens zehn Prozent des Landeswaldes in allen Teilen Niedersachsens und in den verschiedenen Waldtypen dauerhaft aus der Nutzung genommen werden. Grünes Ziel ist eine natürliche Waldentwicklung um damit eine wesentliche Verpflichtung der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt umzusetzen und den Rest des Landesnutzwaldes nach ökologisch-nachhaltigen Kriterien zu bewirtschaften.
  • die planerischen Grundlagen des Naturschutzes durch gezielte Arten- und Biotoperfassungsprogramme, eine Niedersächsische Naturschutzstrategie und die Überarbeitung des völlig veralteten Landschaftsprogramms neu gelegt werden.
  • ein landesweites Biotopverbundsystem durch Ausweisung entsprechender Flächen im Landesraumordnungsprogramm und in den Regionalen Raumordnungsprogrammen geschaffen wird.
  • die rechtliche Stellung des Naturschutzes durch eine Novelle des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz gestärkt wird.
  • die personellen und finanziellen Ressourcen der Naturschutzverwaltung in Niedersachsen und der mit den Naturschutzverwaltungen in Kooperationsvereinbarungen zur Vor-Ort-Betreuung stehenden Naturschutzverbände ihren Aufgaben entsprechend stärker als bisher weiter ausgebaut werden sowie die kooperative Zusammenarbeit von Naturschutzverwaltung und Naturschutzverbänden bei der Gebietsbetreuung organisatorisch und vertraglich auf eine neue Grundlage gestellt wird.
  • für die bestehenden und potentiellen Nutzungskonflikte zwischen Naturschutz und dem klimapolitisch notwendigen Ausbau der Erneuerbaren Energien Lösungskriterien stetig weiter entwickelt werden.

Klimaschutz ist Artenschutz!

Klimaschutz ist ein weiterer wichtiger Baustein für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Die enorme Dynamik des menschengemachten Klimawandels überfordert die Anpassungsfähigkeit von Tier- und insbesondere Pflanzenarten und sogar von ganzen Ökosystemen. Die Reduktion von Treibhausgasemissionen ist daher von besonderer Bedeutung für die Biodiversität auch in Niedersachsen. Doch um sich dem Klimawandel wirksam entgegen zu stellen, brauchen wir endlich ehrgeizige, international verbindlich vereinbarte Maßnahmen über alle Ebenen hinweg.

Eine konsequente Umwelt- und Naturschutzpolitik ist auch eine wirksame und praktische Klimapolitik, denn eine vitale, vielfältige und artenreiche Natur- und Kulturlandschaft ist grundsätzlich anpassungsfähiger an die inzwischen unausweichlichen Klimaverschiebungen. Ökologisch intakte Moore, Wälder und Gewässer haben ein höheres Potential, Treibhausgase zu binden als eine von Monokultur und industrieller Landwirtschaft geprägte Wirtschaftslandschaft.

Für uns Grüne kann Natur- und Klimaschutz nur durch eine ganzheitliche Umweltpolitik erfolgreich sein, die auch die potentiellen Nutzungskonflikte zwischen Naturschutz und Erneuerbaren Energien erkennt und Lösungen dafür entwickelt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen werden sich weiterhin konsequent für den Schutz von Umwelt, Natur und Klima einsetzen!

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Niedersachsen am 7./8. November 2015 in Osnabrück