EUROPA für alle: #MissionInklusion!

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen am 04./05.05.2019 in Osterholz-Scharmbeck

Zehn Jahre nach Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) in Deutschland ist das Ziel, vollegesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu erreichen, noch immer weit entfernt.Die Konvention konkretisiert dieuniversellen Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen und schreibt ein uneingeschränktes und selbstverständliches Recht auf Teilhabe fest. Das Leitbild der Behindertenrechtskonvention ist „Inklusion“. Menschen mit Behinderungen sollen laut Artikel 1 „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten“ genießen. Die Gesellschaft ist damit aufgefordert, sich zu öffnenund Vielfalt und Toleranz als Kern unserer offenen Gesellschaft in allen Lebensbereichen zu verankern.
Die UN-BRK schreibt darüber hinaus fest, dass Menschen mit Behinderungen frei in ihren Rechten sind. Sie haben also ein Recht auf sozialeSicherheit, ein Recht auf Mobilität, ein Recht auf Arbeit und Beschäftigung, ein Recht auf Teilhabe am kulturellen und politischen Leben sowie ein Recht auf Bildung an einer allgemeinbildenden Schule. Doch der Fortschrittsbericht der EU-Kommission kommt zum Ergebnis, dass nicht alle von der EU und deren Mitgliedsstaaten ergriffenen Maßnahmen den menschenrechtsbezogenen Ansatz der UN-BRK verfolgen.

Die Europawahlen haben auch für die weitere Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen eine große Bedeutung.Wir Grünen stehen für ein Europa, das weiter entschieden an der Umsetzung arbeitet.

Politische Teilhabe ermöglichen!

Durch ihre Untätigkeit hätte die Große Koalition in Kauf genommen, dass betreute Menschen mit Behinderungen von der Europawahlausgeschlossen geblieben wären. Erst ein Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht, den die Grüne Bundestagsfraktion gemeinsam mit den Linken und der FDP eingebracht hatte, hat den etwa 85.000 betroffen Menschen zu ihrem Recht verholfen.
Das Bundesverfassungsgericht im Februar 2019 (sic!) Wahlrechtsausschlüsse für verfassungswidrig erklärt. Wahlrechtsausschlüsse gehören damit der Vergangenheit an. Wir freuen uns mit den 85.000 Betroffenen in Deutschland, dass diese Regelung endlich kippt. Wir erwarten,dass von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Signalwirkung auch in die europäischen Nachbarländer, die nochWahlrechtsausschlüsse in ihren Wahlgesetzen verankert haben. Europawahlen müssen einen Vorbildcharakter für alle Wahlen in derEU haben. Daher fordern wir verbindliche EU-Standards für barrierefreie Europawahlen. Dazu gehören barrierefreie Wahllokale und derZugang zu barrierefreien Wahlinformationen für Menschen mit Behinderungen. Diese Punkte müssen in einem einheitlichen europäischen Gesetz zur Wahl des Europaparlaments verankert werden, das einen Beitrag zur Vertiefung der Europäischen Union leisten kann.

Antidiskriminierungsrichtlinie unterzeichnen

Seit über zehn Jahren blockiert die Bundesregierung die fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie der EU. Dadurch klafft nach wie vor eineLücke im Antidiskriminierungsrecht, die den gleichberechtigten Schutz von Menschen mit Behinderungen gegenüber allen anderen Gruppen verhindert.

UN-Behindertenrechtskonvention endlich umsetzen!

Mit der UN-BRK wurden auch für die Mitgliedsstaaten verbindliche Vorgaben verankert und eine Europäische Strategie zur Umsetzung der Konvention verabschiedet. Diese Strategie läuft 2020 aus. Bisher ist kein Folgedokument in Sicht. Wir fordern daher, dass die Europäische Strategie zur Umsetzung der UN-BRK zeitnah evaluiert und erneuert wird! Ein stillschweigendes Auslaufen der bisherigen Strategie darf es nicht geben!Ein wesentlicher Punkt in dieser erneuerten Strategie muss sein, eine belastbare Datengrundlage zu schaffen, die als Grundlagevon gezielten Inklusionsmaßnahmen der EU dienen kann. Dass in 2019 keine tatsächlich vergleichbare, nach Behinderungsformenaufgeschlüsselte Statistik zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen existiert, zeigt eindrücklich den noch vor unsliegenden Weg zu echter Gleichberechtigung und Teilhabe.

Die UN-BRK gilt in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Sie gilt aber auch für die Institutionen der EU selbst. Es ist daher zwingend erforderlich, dass die Umsetzung innerhalb der EU-Institutionen Vorbildcharakter und Standard für die Mitgliedsstaaten ist. Die Mitgliedsstaaten sind laut EU-Richtlinie dazu verpflichtet, den Zugang sowohl zu Internetseiten als auch zu denen sich darauf befindlichen öffentlichen Dokumenten barrierefrei zu gestalten. Das muss künftig auch für die europäischen Institutionen selbst gelten. Wir GRÜNE Niedersachsen fordern daher eine entsprechende Ergänzung dieser Richtlinie.

Die Umsetzung beschränkt sich jedoch nicht nur auf die EU-Ebene, sondern gilt genauso auch für Bundes- und Landesregierungen.Auf Bundesebene wurde 2017 das Bundesteilhabegesetz verabschiedet. Mit ihm sollte eigentlich die Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verbessert werden. Das von CDU und SPD entworfene und verabschiedete Gesetz hat jedoch nur wenige Schritte in diese Richtung gewagt. Vielmehr wurde die Kritik von Betroffenen ignoriert, so dass etliche Inklusionshemmnisse sogar zementiert
wurden. Beispielsweise können Menschen mit Behinderungen weiterhin gezwungen
werden, in einem Wohnheim zu leben. Das widerspricht der UN-BRK und dem Recht
auf unabhängige Lebensführung.

In Niedersachsen warten wir bislang vergeblich auf eine Novelle des niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetzes und eine damit verbundene umfängliche Umsetzung der UN-BRK. Wir GRÜNE Niedersachsen fordern die Landesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Rechte der Menschen mit Behinderungen garantiert und reale Verbesserungen im Alltag herbeiführt. Niedersachsen darf die Chance, Vorreiterin in Gleichstellung und Inklusion zu werden, nicht verspielen.

Europa erfahrbar für alle machen!

Die Diskussionen um den European Accesibility Act (EAA), das europäische Barrierefreiheitsgesetz, hat gezeigt, dass Inklusion einen langen Atem braucht. So wurden zwar in dreijährigen harten Verhandlungen Anforderungen an die Barrierefreiheit von Gütern und Dienstleistungen vereinbart. Auf Standards für barrierefreie Gebäude oder den öffentlichen Personennahverkehr konnte sich jedoch nicht geeinigt werden. Im Ergebnis wird es zu einer stark unterschiedlichen Ausgestaltung in den Mitgliedsstaaten der EU kommen. Eine Europareise bleibt für viele Menschen mit Behinderungen jedoch weiter durch viele Barrieren unmöglich.Wir GRÜNE Niedersachsen fordern daher, die Barrierefreiheitsrichtlinien auch auf die Infrastruktur wie den Fern- und Nahverkehr, auf Banken und Geschäfte anzuwenden. Nur so ist eine Teilhabe vor Ort und in Europa möglich.Insbesondere im Fernverkehr hat die EU schon einiges erreicht. So hatdas Europäische Parlament eine Verordnung entworfen, die alle Bahnunternehmen verpflichtet, Kunden im Rollstuhl grundsätzlich ansämtlichen Bahnhöfen das Umsteigen zu ermöglichen.Bislang ist es möglich, dass Rollstuhlfahrende per Bus oder Taxi zu einem anderen Bahnhof gefahren werden. Eine individuelle Reiseplanung wird dadurch kaum möglich. Trotz dieser geplanten Verbesserungen ist noch Luft nach oben. So müssen Rollstuhlfahrende, die an kleinen Bahnhöfen umsteigen wollen, dies zwölf Stunden vorher anmelden. An mittelgroßenBahnhöfen beträgt diese Anmeldefrist drei Stunden. Selbstbestimmte Mobilität sieht anders aus.Wir fordern daher größtmögliche Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr. Ein gutes Beispiel geben die Niederlande: Hier gilt bei allen Bahnhöfen eine Anmeldezeit von maximal einer Stunde.

Angleichung sozialrechtlicher Regelungen der Mitgliedsstaaten

Wir fordern eine Angleichung der sozialrechtlichen Regelungen der Mitgliedsstaaten, so dass die europäische Freizügigkeit auch fürMenschen mit Behinderungen grundsätzlich möglich wird. In diesem Zusammenhang erinnern wir auch an das Recht auf Arbeit aus Artikel 27 der UN-BRK. Menschen mit Behinderungen sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Wir fordern die EU auf, passgenaue Initiativen der Beschäftigungsförderung zu initiieren.

Europa – das ist ein Versprechen. Wir GRÜNE wollen ein solidarisches Europa der Vielfalt und des Zusammenhalts stärken und Europa für alle erfahrbar machen. Die EU Disability Card, der Europäische Schwerbehindertenausweis, ist ein Pilotprojekt der Europäischen Kommission. Wie andere Europäische Dokumente ist er ein Baustein europäischer Identität. Leider wird der Ausweis nur in acht Mitgliedsstaaten angeboten – bei unterschiedlichen Ansprüchen.Wir fordern eine Angleichung der Leistungen und Ansprüche, die mit demAusweis geltend gemacht werden können und fordern, das Pilotprojekt auf alle Mitgliedsstaaten auszudehnen.

Selbstbestimmungsrecht in allen Lebensbereichen

Das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen umfasst auch ihre Sexualität. Auch hier sind wir sowohl national als auch europaweit von einer Umsetzung noch weit entfernt.

Menschen mit Behinderungen sind häufiger sexualisierter Gewalt ausgesetzt als Menschen ohne Behinderung. Wir fordern wirksame Maßnahmen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt.

Wir GRÜNE Niedersachsen stehen uneingeschränkt für Gleichberechtigung und
Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Daher unterstützen wir am Europäischen
Aktionstag zur Gleichstellung der Menschen mit Behinderungen die
#MissionInklusion.
Europa für alle!

BESCHLUSS  IN LEICHTER SPRACHE

EUROPA für alle: #MissionInklusion – leichte Sprache

Der 5. Mai ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung. Die Grünen nutzen die Gelegenheit. Siebenennen Forderungen für mehr Gleichstellung.

Vor zehn Jahren trat die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in Kraft. Für die Rechte von Menschen mit einerBehinderung ist die Konvention sehr wichtig.
Das Ziel: echte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.

Davon sind wir noch weit entfernt.

Die Konvention fordert Inklusion. Inklusion bedeutet: Menschenrechte gelten für alle Menschen. Für Menschen mit Behinderungen. Für Menschen ohne Behinderungen.

Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf soziale Sicherheit.
Sie haben ein Recht auf Fortbewegung.
Sie haben ein Recht auf Arbeit.
Sie haben ein Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben.
Sie haben ein Recht auf Teilnahme am politischen Leben.
Sie haben ein Recht auf Besuch einer allgemeinbildenden Schule.

Es ist noch viel zu tun.

Ein Beispiel Viele Wahllokale sind nicht barrierefrei. Das schließt von der Wahl aus.

Aber es gibt auch Fortschritte. Bei der nächsten Wahl werden Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, nicht mehr ausgeschlossen. DieBundesregierung wollte das zur Europawahl noch nicht erlauben. Aber die Grünen haben mit anderen Parteien vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Jetzt dürfen Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, bei der Europawahl wählen. Dazu müssen sie einen Antrag stellen.

Am Internationalen Gleichstellungstag sagen die Grünen: Wir wollen gleiche Rechte für Menschen mit Behinderungen. Dafür brauchen wir Europa!

Die Menschen in Europa wollen reisen.

Wir fordern: Ein Europa ohne Grenzkontrollen und ohne Barrieren. Keine Barrieren in Zügen und Bahnhöfen.

Menschen in Europa wollen ein Recht auf Freizügigkeit. Menschen aus einem Land in der Europäischen Union können in jedem anderen Land der Europäischen Union arbeiten.

Wir fordern: Auch Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Freizügigkeit.

Wir fordern: In allen europäischen Ländern sollen Menschen mit Behinderungen und mit Betreuung wählen dürfen.

Wir fordern: Informationen in leichter Sprache und barrierefreie Internetauftritte von Behörden. Das fordern wir auch von den Behörden der Europäischen Union.

Auch für Deutschland haben wir Forderungen:

Die Europäische Union möchte alle Menschen vor Benachteiligung (Diskriminierung) schützen. Deutschland macht dabei noch nicht mit.

Wir fordern: Die Bundesregierung muss die Antidiskriminierungsrichtlinie der europäischen Union unterstützen.

Wir fordern: Auch Deutschland muss Menschen mit einer Behinderung vor Benachteiligung schützen!

Wir fordern: Das Bundes-Teilhabe-Gesetz muss besser werden. Niemand darf gezwungen werden, in einem Wohnheim zu leben.

Wir fordern: Niemand darf sexueller Gewalt ausgesetzt sein. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gilt für alle Menschen.

Wir fordern: Auch Niedersachsen muss die Rechte von Menschen mit einer Behinderung noch besser durch Gesetze sichern.

Europa ist ein Versprechen.
Wir Grünen wollen ein Europa der Solidarität.
Wir wollen ein Europa der Vielfalt.
Wir wollen ein Europa des Zusammenhalts.
Wir wollen ein Europa der Gleichberechtigung.
Wir wollen ein Europa der Inklusion.

Für uns Grüne ist klar: Am Aktionstag zur Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung unterstützen wir die #MissionInklusion.

Europa für alle!

Den Beschluss EUROPA für alle:#MissionInklusion-leichte Sprache findet ihr hier.

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen am 04./05.05.2019 in Osterholz-Scharmbeck